DER SPIEGEL 25/2008 vom 16.06.2008, Seite 100
Autor: Christoph Scheuermann
EINE MELDUNG UND IHRE GESCHICHTE
Echte Hausmannskost [Artikel zur Merkliste hinzufügen]
Wie eine 72-Jährige zur Drogendealerin wurde
Sie hätte das Kreuzworträtsel beiseitelegen sollen, nur kurz. Hätte durch das Küchenfenster auf die Straße schauen müssen, dann wären ihr vielleicht die beiden Männer aufgefallen. Sie saßen unten im Auto. Es waren Drogenfahnder der Polizei Karlsruhe, sie hatten einen Verdacht.
Aber Elfriede B., 72 Jahre alt, bemerkte nicht, dass sie seit Tagen schon beobachtet wurde, und das lag nicht nur am Rätselheft, sondern auch daran, dass ihr Blick auf die Welt trüber wird. Elfriede B. besitzt sechs Brillen in verschiedenen Stärken, und wenn sie kein Hörgerät trägt, pochen die Geräusche nur dumpf an ihr Bewusstsein, was die Sache nicht einfacher macht.
Das Entscheidende blieb jedoch: Sie war sich keiner Schuld bewusst. Verlangt nicht jeder, die Alten in Deutschland sollten handeln statt über ihre Rente jammern? Elfriede B. war eine Frau, die handelte. Warum hätte sie mit der Polizei rechnen sollen?
Elfriede B., mit Haaren wie Schnee, dabei tatkräftig, hatte früh im Leben begriffen, dass auf andere Menschen oder auf den Staat nicht hoffen darf, wer Hilfe braucht. Ihr Vater kam mit einem Geschwür im Bauch aus dem Krieg, und weil er kein Geld für Arznei hatte, pflanzte er sein Schmerzmittel auf dem Acker.
Die Tochter wunderte sich über das Kraut, dessen klebrige Blüten ihr Vater trocknete, zerbröselte und paffte. Sie sah, wie er ruhiger wurde, als sei der Schmerz betäubt.
Elfriede B. reparierte später Fernseher der Firma Schaub Lorenz und schleppte Bierkrüge durch Provinzlokale. Sie schuftete ihr Leben lang, und als sie mit 61 in Rente ging, kam sie nicht von der Arbeit los. Sie lebte auf dem Land, morgens um sechs war sie auf ihrer Scholle, einem Acker, groß wie ein halber Fußballplatz, sie stieg mit der Leiter in die Kirschen, grub Kartoffeln aus und Zwiebeln. Um ihre Rente von 548 Euro aufzubessern, sammelte sie Walnüsse, doch sie spürte das Alter. Wie ein Stromschlag fuhr ihr der Schmerz manchmal durch den Körper, und irgendwann dachte sie an ihren Vater und dessen Kraut. Die Rentnerin hatte eine Idee. Sie würde ihren Schmerz selbst bekämpfen.
Sie besorgte sich am Bahnhof eine Ausgabe der "Hanf-Zeitung", las die Kleinanzeigen, und wenig später lag ein Brief mit Hanfsamen der Sorte "Super Skunk" in der Post. Sie kaufte das Buch "I love it", eine Anleitung für den Hanfanbau. Die 72-Jährige ging mit der Sorgfalt einer Frau vor, die seit Jahrzehnten Erdbeeren einmacht.
Sie betrat schummrige Läden für Kifferzubehör, sie sprach mit anderen Hanfzüchtern. Ein Riesengeschäft, dachte Elfriede B.
Sie wusste, dass der Anbau von Cannabis in Deutschland illegal ist. Vielleicht war sie naiv. Oder es war ihr egal.
Sie räumte die Abstellkammer neben dem Wohnzimmer leer und kleidete die Wände hüfthoch mit einer Plastikplane aus. Sie kaufte 400-Watt-Leuchtstoffröhren, Ventilatoren, einen Abluftschlauch und Dünger: Rhizotonic für die Wurzeln, Terra Vega für die Blätter, Terra Flores für die Blüten. Sie zimmerte einen Schrank für die Setzlinge und verzierte ihn von außen mit Filmpostern, "Casablanca" mit Ingrid Bergman und "Psycho" von Alfred Hitchcock.
Sie vermehrte ihre eigenen Setzlinge mit der Akribie der passionierten Gärtnerin. Das Hanffeld war ihr zweiter, kleiner Acker, in der Abstellkammer. Die Ernte trocknete sie auf einem Backblech.
Sie naschte jeden Tag ein paar Härchen der Hanfblüten gegen den Schmerz im Bein und in den Armen, den Rest wurde sie bei anderen los. Für ein Gramm Marihuana zahlt man in der Stadt rund siebeneinhalb Euro. Ihre einzigen Kunden, drei junge Männer, mussten immer vor 18 Uhr klingeln, danach wollte sie ihre Ruhe. So ging das Jahr um Jahr, fünf Jahre insgesamt.
Ihre Kunden dealten das Marihuana weiter und erzählten von der Cannabis-Großmutter. Die Geschichte machte die Runde, und wer cool war in Karlsruhe, rauchte Gras von "Oma". So kam die Polizei auf ihre Spur. Nach zwei Wochen Ermittlung stürmten acht Beamte ihre Wohnung, ausgerechnet an einem Tag, an dem "Oma" nicht zu Hause war.
Sie hatten zuvor zwei Männer überrascht, die gerade über eine Leiter ins Wohnzimmer geklettert waren. Einer von ihnen war ein Kunde von Elfriede B., er wollte mit seinem Komplizen an das Gras. Elfriede B. kam zwei Stunden später zurück, von der Kirschernte auf ihrem großen Acker.
Sie sitzt jetzt am Küchentisch und überlegt, wie es weitergeht. Irgendwann wird es zum Prozess kommen. Das Geschäft mit dem Gras läuft nicht mehr, seit die Polizei die Pflanzen mitgenommen hat, 380 Gramm Marihuana. Sie will mit ihrer Enkelin eine Wirtschaft aufmachen. Elfriede B. wird am Herd stehen und kochen, sorgfältig wie immer. Es soll Wurstsalat geben und dienstags frische Maultaschen.
CHRISTOPH SCHEUERMANN
Quelle:
http://wissen.manager-magazin.de/wissen/…844&top=SPIEGEL
ich finds einfach nur geill und hat auch echt Spass gemacht zu lesen
Die Geschichte machte die Runde, und wer cool war in Karlsruhe, rauchte Gras von "Oma".