In Ungarn machen gewaltbereite Rechtsextremisten mobil: Seit kurzem gibt es hier eine SA-ähnliche Garde-Formation. Und auch in den Nachbarländern blüht das braune Gedankengut - und damit die Hatz gegen Minderheiten, Homosexuelle und Juden.
Kecskemét - Der junge Mann, der gerade die Halle betreten hat, wittert seine große Chance. István hat am linken Auge ein silbernes Piercing, der Schädel ist kahlrasiert, auf seinem schwarzen T-Shirt trägt er ungehemmt braune Gesinnung spazieren. Der 23-jährige Informatikstudent träumt von einem Groß-Ungarn, dafür müssten unter anderem die rumänischen Gebiete in Siebenbürgen/Transsylvanien sowie die serbische Vojvodina annektiert werden, die Ungarn im Friedensvertrag von Trianon 1920 abtreten musste. István sieht die Zeit gekommen, die Schmach von einst zu tilgen. "Endlich kann man etwas tun", sagt er und schaut fast ein wenig verlegen auf die Spitze seiner schwarz-polierten Springerstiefel. "Wir müssen uns rüsten."
Wie István strömen in diesem Moment viele Altersgenossen in die riesige Verkaufshalle, in der normalerweise landwirtschaftliche Geräte gehandelt werden. Auch Frauen sind da, Rentner, immer wieder müssen die Ordner in ihren neongelben Westen neue Plastikstühle aufstellen. Der Andrang ist riesengroß. Es ist Donnerstagabend und in der Puszta-Stadt Kecskemét, rund 80 Kilometer südöstlich von Budapest, hat die ultranationalistische "Bewegung für ein besseres Ungarn" (Jobbik) zu einer Werbe-Tour in eigener Sache geladen.
Die Nationalhymne wird angestimmt, die 500 im Saal erheben sich, man nimmt Haltung an, zwischen Rasenmähern und Elektrorollern ertönt schließlich das stolze Lied der Magyaren, von Feindeswut ist da die Rede, von Kampf und Gefahren. Dann tritt Gábor Vona ans Rednerpult.
Der 29-Jährige ist der Vorsitzende der Jobbik-Partei, smart, eloquent, gegelte dunkle Haare. Seit Tagen tourt der studierte Geschichtslehrer wie ein Rattenfänger durch die Provinz, um neue Mitglieder zu werben für seine jüngste Neuschöpfung, die "Magyar Gárda". Die "Ungarische Garde" ist eine rechtsextremistische, paramilitärische Gruppe, bislang besteht sie aus 56 Männern, sie tragen Militärstiefel und uniformähnliche Abzeichen. An der Budaer Burg, wo einst die Habsburger den Türken eine bittere Niederlage beibrachten, legten sie vor einigen Wochen feierlich ihren Eid ab, ausgerechnet drei Priester weihten die mitgebrachten Banner.
Selbst Wehrsportübungen sind für die Garde geplant
Dabei ist die völkische Gesinnung der Gardisten alles andere als christlich: Die "Zigeunerkriminalität" soll ausgemerzt, das "Ungarntum" gegen Aggressoren aus den Nachbarländern verteidigt werden, notfalls mit Waffengewalt. Aus diesem Grunde sollen für die Uniformierten künftig auch Wehrsportübungen verpflichtend sein. Wieder einmal ist das ohnehin tief gespaltene Magyarenland in Aufruhr, und wieder einmal kommen die Provokationen von ganz rechtsaußen.
Mit der kruden Vereidigungszeremonie, sagt der Wiener Publizist Paul Lendvai, seien die "Gespenster der Vergangenheit" wieder auferstanden. Rechte Recken waren es auch, die sich vor genau einem Jahr vor dem Parlament erbitterte Straßenschlachten mit der ungarischen Polizei lieferten und das Land tagelang in Atem hielten. Nun rüsten sich Gesinnungsgenossen erneut zum Kampf - gegen die Feinde des "wahren Ungarntums". Dazu gehört erklärtermaßen auch die Regierung von Sozialistenpremier Ferenc Gyurcsány, 46.
Spätestens seit seiner "Lügenrede", in der er Unwahrheiten während des zurückliegenden Wahlkampfes zugab, ist der schlaksige Euromillionär zur uneingeschränkten Hassfigur der politischen Rechten aufgestiegen. "Es hat keinen wirklichen Systemwechsel gegeben", wettert Jobbik-Chef Vona. Die sozialistische Regierung müsse daher endlich weg.
Linke und Intellektuelle beobachten die Formierung der militanten Rechten mit wachsender Sorge: Die Truppe sei eine "Schande für Ungarn", klagt der geschmähte Gyurcsány. Der Budapester Philosoph Miklós Tamás Gáspár sieht gar eine "ungarische SS" aufmarschieren. Tatsächlich lehnen sich die Symbole der Uniformierten, allen voran die weiß-rot-weiß gestreifte Árpád-Fahne, an jene Insignien an, die einst auch die berüchtigten Pfeilkreuzler verwendeten; während des Zweiten Weltkrieges waren sie willige Helfer beim deutschen Mord an den ungarischen Juden.
Rechtsradikale Gespenster der Vergangenheit Teil 2
2. Teil: Auch in anderen osteuropäischen Ländern machen sich die Rechtsextremisten breit
Auch in anderen Ländern im östlichen Europa sind rechte Gesinnungstäter auf dem Vormarsch: In der Slowakei haben sie es gar in die Regierung geschafft, die "Slowakische Nationalpartei" von Jan Slota ist bekannt für ihre Hetze gegen Roma, Juden und Andersdenkende. Das grölende Fußvolk namens "Slovakia Hammer Skins" und "Slovakia Rebel Klan" gibt derweil auf den Straßen kleinerer Provinzstädte wie Trnava und Nove Mesto den Ton an. Die Bewegung, konstatiert der Verfassungsschutz in Bratislawa besorgt, werde "zunehmend radikaler".
Im Nachbarland Tschechien johlen rechte Fußballrowdies in den Stadien antisemitische Parolen und rassistische Hass-Songs. Pavel Horvath, Mittelfeldspieler beim Fußballrekordmeister Sparta Prag, grüßte jüngst vom satten Grün mit seiner rechten Hand - provozierend erhoben zum Hitlergruß.
Am ungehemmtesten gehen Neonazis wohl aber im Reich von Wladimir Putin vor. Die Jagd auf Homosexuelle steht nahezu auf der Tagesordnung. Und auch andere müssen um ihr Leben bangen: Ende Juli überfiel eine Horde rasender Skinheads im sibirischen Angarsk in einem Zeltlager nachts eine Gruppe von Atomkraftgegnern, einen 26-jährigen Umweltaktivisten prügelten sie mit Schlagstöcken zu Tode.
Die Springerstiefelfraktion im Osten, warnt das Ungarische Amt für Nationale Sicherheit, ist untereinander bestens verdrahtet. Kontakte laufen dabei nicht nur über die länderübergreifend agierende "Blood & Honour" oder deren Tarnorganisationen, man trifft sich auch bei Konzerten, wo dann Skinheadbands wie "Gesunde Kopfhaut" oder "Karpatia" ihre rassefeindlichen Ideologien lautstark zum Besten geben.
Viele hat der Wohlstandszug in Osteuropa zurückgelassen
Woher aber kommt dieser Zulauf, dieser verbreitete Hass gegen alles, was fremd, was anders ist? Auf den ersten Blick regiert in vielen Ländern zwar der Wohlstand, zwischen Budapest und Moskau demonstrieren Wendegewinnler mit dicken Geländewagen PS-stark ihren frisch erworbenen Reichtum. Hinter der Fassade indes regiert die Armut, die Massen sind bei den politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen auf der Strecke geblieben. Nur wenige Kilometer weiter von Budapests Prachtmeile etwa, der Andrássy út, auf der westliche Designlabels ihre Produkte feilbieten, stehen hagere Rentner in Suppenküchen an, um überhaupt über die Runden zu kommen.
"Die Umwälzungen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs sind brutaler als zur Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren", konstatiert der Budapester Historiker Krisztián Ungváry. "Das ist fruchtbarer Nährboden für Demagogen." Und die finden sich selbst bei den etablierten Parteien.
Als sich in Budapests mächtigem neugotischen Parlament alle Fraktionen von der neugegründeten "Ungarische Garde" distanzierten, hielt sich eine Partei auffallend zurück: die Jungdemokraten (Fidesz) von Oppositionspolitiker Viktor Orbán. Der erklärte Sozialistenhasser geht schon seit langem mit aggressiver Rhetorik am äußersten rechten Rand auf Stimmenfang. Nun kommt ihm die Unterstützung der gewaltbereiten Rechten ganz gelegen. In etlichen Städten und Gemeinden ist der für seine Brandreden bekannte Jurist mit den Ultranationalisten von Jobbik bereits Koalitionen eingegangen, auch in der Hauptstadt geht Orbán mit den Rechten auf Tuchfühlung, etwa im ärmlichen Plattenbauviertel von Neu-Pest. Sowohl Orbán als auch Vona verfolgen nur ein Ziel: den Sturz der "Mafiaregierung".
Im Rasenmähersaal in Kecskemét hören die Versammelten derweil, dass der Jüdische Weltkongress sich über die Gründung der "Nationalen Garde" besorgt geäußert hat. Doch Vona, der junge Volkstribun, lässt sich durch derartige Einwände nicht beirren. Am Sonntag sollen seiner Rechtstruppe bei einer pompösen Zeremonie auf dem Budapester Heldenplatz weitere Freiwillige beitreten. Diesmal werden es es gleich Hunderte sein, verspricht Vona.
Es klingt wie eine Drohung.
quelle: spiegel.de