Er ist einer der letzten Tycoons - Ende des Monats zieht sich Bill Gates endgültig aus dem Microsoft-Geschäft zurück. Ein Epochenbruch für die ganze IT-Branche: Sie hat die Gründer-Zeit hinter sich gelassen. Ein Rückblick auf Flops, Erfolge, Visionen und Halluzinationen des Microsoft-Gurus.
Wer ist der Freak, wer ist der Chef? Auf einem der ersten Bilder des kleinen Start-up-Teams, aus dem einmal Microsoft erwachsen sollte, sieht man Bill Gates frisch gekämmt und schick gemacht als dürren Schlacks. Er sitzt neben einem Bartträger, der so aussieht, als gehörte das Jacket zu seiner täglichen Arbeitskleidung.
Wer nichts weiß von Microsoft und Bill Gates und den manchmal absonderlichen Geschichten dieser seltsamen IT-Branche, der liest das Bild so: Da sitzt der Chef des Ganzen neben seinem Juniorpartner. Der Geschäftsmann neben seinem leicht langhaarigen Hack-Talent. Die Füße des gerade der Pickelphase entwachsenen Nerds sieht man nicht auf dem Bild - und doch ahnt man die Turnschuhe.
Allen und Gates: Wer ist der Business-Kopf, wer der IT-Freak? Wer sitzt oben, wer unten?
Falscher könnte man kaum liegen. Paul Gardner Allen, der Herr links im Bild, ist nur zwei Jahre älter als Bill Gates. Beide verbindet eine lange Freundschaft, als sie 1975 Microsoft gründen. Doch es ist Allen, der vor allem hackt und programmiert, und der Anwaltssohn Gates, der auch den Kopf fürs Geschäft hat. Bis 1983 leiteten sie die kleine Firma gemeinsam, die zu einem der bedeutendsten Unternehmen der Welt werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt war Gates bereits einer der Helden der neuen IT-Zeit.
Metamorphosen
Ein Held? Durchaus: In der öffentlichen Wahrnehmung veränderte sich das Image von William Henry Gates III immer wieder, drei große Phasen lassen sich benennen. In der ersten wurde Gates regelrecht zum Popstar, zum Robin Hood der IT-Welt, der dem bösen Sheriff von IBM zeigte, was eine Harke ist. In der zweiten wurde Gates zum reichsten Mann der Welt, Microsoft zu einem der mächtigsten Unternehmen und Gates zum Buhmann. In der dritten mauserte er sich abermals - zum Wohltäter und Elder Statesman eines Unternehmens, das über Ressourcen verfügt wie manche Staaten nicht.
Vor allem aber ist Gates einer der letzten echten Tycoons: Mit ihm geht für die IT-Branchen die Zeit ihrem Ende entgegen, in der große Gründer- und Lenkergestalten so prominent für ihre Unternehmen standen, dass ihre Namen fast synonym mit denen ihrer Unternehmen gehandelt wurden. Gates war Microsoft, Microsoft war Gates, selbst nachdem dieser die Firmenleitung im Januar 2000 an Steve Ballmer abgegeben hatte.
Das ist typisch für junge Industrien. Auch in der Autobranche, in der Musik- und Filmindustrie dominierten in den ersten Jahrzehnten Tycoons, die mit Gesicht und Name für ihre Firmen standen. Danach kamen die Manager - aber wer außer begeisterten Wirtschaftsteillesern wüsste heute schon noch, wie der aktuelle Chef von Ford, Warner oder MGM heißt? Nach Gates' Abgang bleibt in dieser Liga fast nur noch die potentielle Skatrunde Jobs, Murdoch und Buffet übrig - wobei nur die zwei letzteren noch so prominente Tycoons sind, dass ihre Namen bekannter als die ihrer Unternehmen sind.
Ende einer Ära
Am Freitag, dem 27. Juni 2008, hat Bill Gates seinen letzten geregelten Arbeitstag bei Microsoft. Am Montag - firmenintern "Day of Transition" genannt, als ginge es um eine Himmelfahrt - hat er frei, um sich danach noch seinen Aufgaben als Aufsichtsratsvorsitzender und Kopf der Gates Foundation zu widmen, die er mit seiner Frau Melinda und seinem Vater William Henry Gates II führt. Seine Funktionen im Unternehmen hatte Gates in den letzten Jahren schon auf mehrere Schultern verteilt, seinen Abgang schon vor Monaten angekündigt, um den Aktienkurs nicht unnötig ins Wackeln zu bringen.
Wackeln wird bei Microsoft wohl nichts, wenn Gates geht, zumal er dem Unternehmen in nicht-operativer Funktion erhalten bleibt. Verloren geht dem Unternehmen trotzdem etwas. Gates war Idol, Blitzableiter, Zielscheibe, Hassfigur und vieles mehr. In seinen wechselnden Images, in seiner Karriere spiegelt sich die Entwicklung einer ganzen Branche.
Wir haben uns die Geschichte des Bill Henry Gates noch einmal angesehen.
Mitte der siebziger Jahre machte die IT-Technik einen gewaltigen Satz nach vorn. Chips begannen, auch in der ganz profanen Alltagstechnik dem Transistor Konkurrenz zu machen. Immer kleiner und leistungsfähiger wurden die Dinger - und ermöglichten den Bau erster Computer, für die man keinen Kran brauchte, um sie zu bewegen.
Ihr Manko: Im Vergleich zu den Großrechnern von IBM, Cray oder der Control Data Corporation CDC waren sie Spielzeuge. Was Kleinstfirmen wie Altair (ab 1974), Apple (ab 1976) oder Sinclair (ab 1978') da in ihren Manufakturen zusammenschraubten, wollten die Branchengrößen nicht ernstnehmen. Ein für manche der großen Firmen fataler Irrtum. Denn schnell zeichnete sich ab, dass die neuen Kleinrechner nicht nur zum Heimrechner taugten.
Bill Gates 1984: Ein Teil seines Popstar-Images erklärt sich über sein bübisches Äußeres. Aber Gates war kein jugendlicher Nerd und Hacker, sondern ein cleverer Nerd und Jungmanager mit - trotz abgebrochenen Studiums - juristischer und ökonomischer Bildung. Auf diesem Bild ist er 29 Jahre alt
Sie ermöglichten auch Mittelständlern, die weder einen Mainframe noch die relativ kleinen Workstations der Firma Digital jemals hätten bezahlen können, den Einsatz von Rechnern. Als findige Informatiker begannen, diese miteinander zu vernetzen, war der vermeintliche Heimrechner zu einer echten Konkurrenz für die Boliden der Branchengrößen geworden.
Die Großen verschliefen den Umbruch
Viel zu spät erkannte das auch der Gigant IBM, der den IT- respektive Büromaschinenmarkt ein halbes Jahrhundert lang beherrscht hatte. Natürlich hatte Big Blue, wie der Koloss genannt wurde, die Kapazitäten, schnell auf die Herausforderung zu reagieren, als es sie einmal erkannt hatte. Was IBM jedoch fehlte, war ein Betriebssystem für kleine Rechner.
Es gibt eine Menge Legenden darüber, wie es zum Deal zwischen dem Start-up Microsoft und dem Branchengiganten IBM gekommen ist. Als sicher gilt, dass IBM eigentlich das Betriebssystem CP/M der Firma Digital Research lizenzieren wollte. Das Unternehmen hatte auf dem Markt der Kleinrechner für Mittelständler die Nase vorn, verpasste nun aber die Chance, sich auch auf den Heimrechner-Desktops breit zu machen. Die Verhandlungen zwischen Digital und IBM platzten.
Auftritt Bill Gates: Auch Microsoft hatte kein passendes Betriebssystem für die geplante Rechnerarchitektur von IBM, die auf Intels 8086-Chip beruhen sollte. Gates und Allen hatten aber bereits einiges an Geld gemacht mit der Programmierung verschiedener Anwendungen, unter anderem einer Basic-Variante für den Altair-Kleinrechner. Wohl deshalb klopfte IBM an. Gates verkaufte Big Blue daraufhin ein Betriebssystem, das er gar nicht hatte - er wusste aber, wo er es bekommen konnte.
Als Konkurrenz zu CP/M hatte der Programmierer Tim Paterson von 1979 bis 1980 einen Klon des CP/M-Systems entwickelt, das er QDOS, in der Variante für den 8086-Prozessor später 86-DOS nannte. Gates zahlte Paterson 50.000 Dollar für seinen CP/M-Klon und verscherbelte die Lizenz für 80.000 Dollar an IBM weiter - machte Microsoft zugleich aber zum Software-Zulieferer für IBM.
CP/M-ENTWICKLER GARY KILDALL ÜBER BILL GATES
"Gates nimmt meine Arbeit und macht sie mit zumindest krummen Methoden zu seiner eigenen. Er hat seinen Dukatenesel MS DOS aus meinem CP/M gemacht."
Gary Kildall, der Entwickler von CP/M, äußerte sich voll Verbitterung über die Umstände dieses spektakulären Deals: Seine Äußerungen über Gates gehören zu den frühesten Stimmen, die Gates Skrupellosigkeit vorwarfen. Doch ob Gates Kildall ausbootete oder nicht, ist hochgradig umstritten: Es soll Gates gewesen sein, der IBM erst auf Kildall und CP/M aufmerksam machte. Erst, als deren Verhandlungen platzten, preschte Gates vor.
Big Blue ging den keimenden Markt mit Macht an, der bis dahin der Firma Apple von Steve Jobs und Steve Wozniak sicher schien. Weil IBM anders als Apple keinen proprietären Ansatz wählte, sondern das Strickmuster seiner Rechner öffentlich machte, gelang binnen weniger Jahre die Etablierung eines Industriestandards. Die meisten Heimrechner waren nun - unabhängig vom Hersteller - "IBM-PCs", so wie man heute von "Windows-Rechnern" spricht.
Und anders als IBM kassierte Microsoft beim Verkauf jedes einzelnen Rechners eine Lizenzgebühr für sein nun MS DOS genanntes Betriebssystem. Bald koppelte Microsoft Office-Anwendungen daran - und der Grundstein für den Erfolg des Unternehmens war gelegt: Noch heute ist das Doppel aus Betriebssystem und Office-Paket Microsofts größte Geldquelle.
Gates war der Steve Jobs der Achtziger
Und der Urheber des cleveren Deals wurde berühmt: Bill Gates erschien nicht zuletzt aufgrund seines jugendlichen Aussehens wie die Verkörperung des jungen Nerds, der den verknöcherten, phantasielosen Management-Gestalten zeigte, wie der Hase wirklich läuft.
Gates, in Wahrheit vor allem cleverer Geschäftsmann, lief ihnen schon bald davon. Was sich IBM noch 1981 nicht vorstellen konnte, war Ende der achtziger Jahre bereits wahr: Mit Software ließ sich in der neuen PC-Welt mehr Geld verdienen als mit Maschinen. Niemand verdiente mehr als Microsoft - und kaum eine Firma litt mehr als der Riese IBM, der dem Kollaps Jahre später nur knapp entkam.
Bill Gates aber wurde zu einer Ikone zwischen Industrie und Popkultur - mehr noch als heute die Google-, Yahoo- oder Facebook-Gründer. Dass Microsoft den Entwicklungen von anderen wie Xerox oder Apple immer ein wenig hinterherhinkte, kratzte zunächst wenig am Image des strahlenden Stars einer neuen digitalen Industrie.
Dass der durchaus programmiererfahrene Gates vor allem als Manager und Kaufmann wahrgenommen wurde, der Kaufmann Steve Jobs aber als IT-Innovator, ist eine der Ironien der frühen Jahre. Was heute aber weitgehend vergessen ist: Steve Jobs wurde 1985 von Apple zum Abgang genötigt und verschwand für zehn Jahre weitgehend vom Radar der Öffentlichkeit. Bis in die erste Hälfte der Neunziger hinein war Gates die dominante Figur einer ganzen Industrie.
Erst Ende der Achtziger begann die Stimmung zu kippen: Erfolg weckt Sympathien, Größe aber macht Angst. Microsoft tat einiges dazu: Eine für die amerikanische Unternehmenskultur letztlich nicht ungewöhnliche, hochgradig aggressive Expansionspolitik machte in der öffentlichen Wahrnehmung aus dem einstigen Robin Hood langsam selbst einen Sheriff.
Microsoft wurde so zum neuen IBM, wie Google heute das neue Microsoft zu werden droht: Ein Monopol zu gewinnen, heißt auch, alle anderen gegen sich zu haben. Und die Öffentlichkeit lernte bald, dass der immer so jungenhaft-freundliche Herr Gates auch kräftig Waden beißen konnte.
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Spiegel Online